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Dokumentarfilmerin: „Umsiedlung ist immer problematisch“

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Die Schweizer Dokumentarfilmerin Gabriela Neuhaus recherchiert für den Film "Bufferzone" an Sri Lankas Stränden.
Die Schweizer Dokumentarfilmerin Gabriela Neuhaus recherchiert für den Film „Buffer Zone“ an Sri Lankas Stränden.

Zehn Jahre nach dem Tsunami besuchte Gabriela Neuhaus in Sri Lanka Dörfer, die mit Spendengeldern aufgebaut wurden. Die Ergebnisse erschienen kürzlich auf DVD. Im jüngsten Interview des Monats schildert die Schweizer Dokumentarfilmerin die Probleme, die durch die Umsiedlung der Opfer entstanden sind.

WRF: Seit dem Tsunami sind über zehn Jahre vergangen. Sieht man heute überhaupt noch was von der Katastrophe?

Neuhaus: Die direkten Folgen sind kaum noch sichtbar. Am Strand gibt es hier und da ein Ruine – halb zerstörte Häuser, die immer mehr zerfallen. Das ist alles. Wenn man aber weiss, worauf man achten muss, sind die indirekten Folgen noch immer sehr deutlich. Zum Beispiel die ganzen neuen Siedlungen, die im Landesinnern entstanden sind, um die Leute aufzunehmen, die nicht mehr an der Küste wohnen konnten und durften.

Sie werden mit einer Bufferzone davor geschützt, nicht nochmals von einem Tsunami überrollt zu werden. Das klingt doch vernünftig.

Dass Menschen nicht mehr in der direkten Gefahrenzone leben, ist natürlich positiv. Das Problem sind jedoch die Folgen der Umsiedlungspolitik: Die Menschen wurden teilweise mehrere Kilometer weit ins Landesinnere verfrachtet. Für Fischer ist es dort kaum noch möglich, ihrem Beruf nachzugehen. Dazu kommt, dass im Landesinneren bereits Menschen lebten, die ihre neuen Nachbarn nicht immer sehr willkommen geheissen haben. Dass die neuen Dorfbewohner ihre Häuser von einer Hilfsorganisation geschenkt bekamen und dadurch Neid entstand, machte die Situation auch nicht einfacher.

Was wären denn Alternativen gewesen?

Ein Frühwarnsystem zum Beispiel, wie es vielerorts eingerichtet wurde – heute funktioniert dies sehr gut; Damals sind viele Menschen  gestorben, weil sie ins Meer hinausliefen, als sich dieses zurückzuziehen begann. Vermutlich hätten viele Opfer Zeit gehabt, sich in Sicherheit zu bringen, wenn sie gewusst hätten, was ein Tsunami ist. Es gibt auch andere Möglichkeiten: In Bangladesch wird beispielsweise im Rahmen eines Projekts das Wachstum von Austernriffs gefördert. Diese natürlichen Deiche bremsen nicht nur die Wucht eines Tsunami, sondern erlauben den Menschen auch, dank der Austernzucht ein zusätzliches Einkommen zu generieren. Dies ist eine weitere Schwierigkeit bei der Umsiedlung: Viele Menschen haben am neuen Ort keine Einkommensmöglichkeiten und können daher ihre Häuser langfristig nicht finanzieren. Viele Opfer mussten wegziehen.

Die direkten Folgen des Tsunami sind noch immer sichtbar. Hier eine Ruine in Küstennähe.
Die direkten Folgen des Tsunami sind noch immer sichtbar. Hier eine Ruine in Küstennähe.

Gibt es auch positive Geschichten?

Umsiedlungen sind immer problematisch. Aber natürlich gibt es auch Menschen, die davon profitiert haben. Wir trafen beispielsweise stark traumatisierte Tsunamiopfer, die sehr froh waren, dass sie nicht mehr an der Küste leben müssen. Andere freuten sich, dass sie ihre schäbige Hütte gegen ein richtiges Haus tauschen konnten. Unter denjenigen, die das Haus stemmen konnten, gibt es durchaus Leute, die mit der Situation glücklich sind. Die grossen Verlierer sind vor allem die Armen, die sich den Unterhalt ihrer Häuser nicht leisten können. Im tropischen Klima führt dies zu einem schnellen Zerfall der meist aus Beton gebauten Hilfswerks-Häuser.

Im Film wird ein Schweizer gezeigt, der privat Spenden sammelte und mit grossem Erfolg ein Dorf wieder aufbaute. Sollen wir künftig eher private Initiativen als die grossen Hilfswerke unterstützen?

Nein, so würde ich das nicht sagen. Das Problem: Die grossen Hilfsorganisationen beziehen die Menschen vor Ort oft zu wenig ein und nutzen das lokale Wissen zu wenig. Sie haben ihre fixen Abläufe und Standards, nach denen sie vorgehen. Bei der Premiere des Films sagte ein Mitarbeiter einer solchen Organisation zu mir: „Der hatte es leichter. Er kannte die Leute vor Ort und wusste, wie alles läuft.“ Doch genau das müssten auch die grossen Organisationen tun: Auf die Leute vor Ort hören sowie lokales Wissen nutzen, kulturelle Besonderheiten berücksichtigen..

Im Film kritisierst du, dass in der Schutzzone immer mehr Hotels entstehen. Entspricht das einer inneren wirtschaftlichen Logik oder ist das ein grossangelegter Plan der Regierung?

Das war ganz klar der Plan. Bereits in den 1990er-Jahren war ein Gesetz zum Küstenschutz verabschiedet worden, welches das Wohnen in den Küstenregionen verbot. Hotels und Industrie waren aber schon damals erlaubt. Das zeigt, die Regierung will schon seit 25 Jahren Platz an den Stränden schaffen, um den Tourismus zu fördern. Die Schwierigkeit war, dass viele arme Siedler seit Jahrzehnten an den Stränden lebten. Das Gesetz zum Küstenschutz war kaum umzusetzen. Erst mit dem Tsunami veränderte sich die Ausgangslage stark: Die Hütten am Strand waren zerstört und die Regierung hatte Millionen von internationalen Spendengeldern zur Verfügung, um ihren Plan umzusetzen und die Menschen ins Landesinnere umzusiedeln.

Bei den Recherchen: Gabriela Neuhaus interviewt einen Helfer.
Bei den Recherchen: Gabriela Neuhaus interviewt einen Helfer.

Wie verändert dies den Tourismus in Sri Lanka, der bisher vor allem durch seine kleinen Hotels am Strand geprägt war.

Im Süden und etwas später jetzt auch im Osten entstehen immer mehr Luxusresorts, wie wir sie etwa von den Malediven kennen. Die kleineren Hotels werden zunehmend verdrängt. Vielerorts findet eine Verlagerung vom Individualtourismus in Richtung Resort-Urlaub statt. Aber es gibt noch Orte, wo glücklicherweise beides nebeneinander funktioniert.

Was kann ich als Tourist tun, um den Menschen zu helfen, die umgesiedelt wurden?

Das ist sehr schwer, denn die neuen Ortschaften sind touristisch wenig interessant. Viele von ihnen verfügen nicht einmal über Unterkünfte. Persönlich würde ich die grossen Resorts meiden, um nicht den Anreiz zu schaffen, noch mehr Menschen zu verdrängen. Aber das würde ich sowieso empfehlen, schliesslich ist es ohnehin viel spannender, in den kleinen Hotels zu wohnen, wo man mit den Menschen in Kontakt kommt und in den lokalen Restaurants speisen kann.

Der Film beschränkt sich auf Sri Lanka. Weisst du, wie es in anderen Ländern aussieht?

Dass der Tourismus die lokalen Menschen verdrängt, ist leider nichts Aussergewöhnliches. Auch in Indien oder Thailand liess sich das nach dem Tsunami sehen. Auch nach dem Taifun Haiyan letztes Jahr auf den Philippinen befürchtete die lokale Bevölkerung eine ähnliche Entwicklung. Wir konzentrierten uns bei den Dreharbeiten auf Sri Lanka, weil sich hier die Problematik sehr deutlich und exemplarisch aufzeigen lässt.

Der Film bespricht auch heikle Themen. Hattet ihr Probleme bei den Dreharbeiten?

Wir hatten im Vorfeld grosse Schwierigkeiten, überhaupt eine Drehgenehmigung zu erhalten. Es dauerte rund ein halbes Jahr, bis wir das notwendige Journalistenvisum erhielten. Zusätzlich mussten wir mit einem lokalen Koproduzenten zusammen arbeiten. Faktisch hiess das, dass wir ständig einen Aufpasser bei den Dreharbeiten dabei hatten. Die Regierung war sehr darauf bedacht sicherzustellen, dass ihr Land in einem guten Licht dargestellt wird. Dass unser Film trotzdem kritisch herausgekommen ist, verdanken wir in erster Linie mutigen Interviewpartnern und Informantinnen und Informanten, die uns einen vertieften Einblick hinter die Kulissen von Sri Lankas Traumstrände ermöglicht haben.

workntravelFilmtipp: Buffer Zone von Gabriela Neuhaus und Angelo Scudeletti

Die Journalistin Gabriela Neuhaus und der Kameramann Angelo Scudeletti besuchten zehn Jahre nach dem Tsunami die Siedlungen, die mit Spendengeldern aus aller Welt errichtet wurden und berichten im Dokumentarfilm „Buffer Zone“ über das Schicksal der umgesiedelten Tsunami-Opfer. Unbedingt sehenswert!

Der Film lässt sich derzeit nur über die Webseite des Filmverleihs bestellen. Preis zum Zeitpunkt der Recherche: 39 sFr. bzw. 32 Euro. Länge 90 Minuten.

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